Über Engel, deutsche Unpünktlichkeit und den Plan B

Treffen mit Geflüchteten und Nicht-Geflüchteten im Apex

Bonveno lädt ein zum Austausch über Identitätsverlust und Integrationszweifel, über Schuldzuweisung und Opferrolle, und über individuelle Rechte und Pflichten,  17. 1. 2019

Ehrenamtliche und Geflüchtete aus Pakistan, Libyen, Sudan, Syrien und Deutschland haben sich über gesellschaftliche Themen unterhalten, die sie zur Zeit sehr beschäftigen. Jeder trug seine Gedanken vor und regte damit zu heißen Diskussionen an. Auch wenn die Themen im Kern sehr ernst und komplex sind, wurde es doch immer wieder sehr lustig, weil die jeweiligen Erfahrungen mit Deutschland auch klischeesprengend, absurd und kafkaesk sind:
Homam erzählt, gestern wäre er dreimal an einem Tag von Deutschen versetzt worden, dem Sachbearbeiter, der Nachhilfelehrerin und dem Fahrschullehrer. Jedes Mal musste er warten bzw. an den vereinbarten Termin erinnern. Das ist für Haneef, dem Autor aus Pakistan, gleich eine neue Idee für eine Komödie.
Reemah, Psychologin aus Syrien, spricht über den Kulturschock, den viele Geflüchtete erleiden, wenn sie nach Deutschland kommen, der zusammen mit ihren traumatischen Erfahrung aus Verfolgung und Krieg die Menschen in ein Schneckenhaus drängt. Daraus kommen sie nur wieder heraus, wenn sie einen „Engel“ finden, eine Person, die sie an die Hand nimmt und ihnen hilft. Wichtig ist jedoch, dass dieser „Engel“ diese helfende Person, die einem den Weg oder die nächsten Schritte zeigen kann, einen nicht wie ein Kleinkind behandelt, sondern immer auch die jeweils notwenige Wahrheit zumutet. Ehrlichkeit ist auch in diesem Zusammenhang eine Tugend.

Adil, ehrenamtlicher Helfer aus Pakistan, plädiert für den Plan B und den Plan C, D und E: In Deutschland ist eine Ziel für die Zukunft sehr wichtig. Aber wenn dieser Plan A nicht recht funktioniert, dann gibt es immer noch viele andere berufliche Wege, die möglich sind in Deutschland. Überall werden Arbeitskräfte gesucht. Es sei wichtig, dass man sich bewusst wird, was einen interessiert, was man selber möchte. Darüber haben viele Menschen, die hier ankommen, nie nachgedacht, weil bisher immer alles über Berufs-, Partner- und Lebensort-Wahl von der Groß-Familie und dem autoritären Clan-Staat vorbestimmt wurde.

Abdulrahman, Anwalt aus Syrien, fordert eine klare Definition von Integration. Das sind hier in Deutschland die entscheidenden Schritte: Spracherwerb, Arbeit, Akzeptanz des Grundgesetzes. Das Grundgesetz schützt die Würde des Einzelnen und tariert Einzel- und Gruppenrechte und Pflichten im Rahmen der freiheitlichen Grundordnung sehr genau aus. Das ist für viele Flüchtlinge, die aus anderen Gesellschaften und Rechtstraditionen kommen, neu. Letztendlich ist aber dieser gesellschaftliche Unterschied bzw. Mangel in den Herkunftsländern eine wesentliche Fluchtursache.

Nowzat, Sozialarbeiterin aus Syrien, betont, wie wichtig es ist, dass alle einen Schritt aufeinander zu machen – die Geflüchteten und die Einheimischen. Fremdheit erzeugt bei einigen Deutschen spürbare Angst. Doch gerade im Aufeinander-Zugehen, im Öffnen zu gegenseitiger Neugier und gegenseitigem Verständnis, liegt die große Chance kultureller, wirtschaftlicher und allgemein menschlicher Befruchtung und Bereicherung.

Ali, Real-Schüler, betonte zum Abschluss, dass Deutschland nicht nur eine Geschichte hat, sondern auch einen gemeinsamen Fortschritt in die Zukunft.

Annabel Konermann